Sexualität und Behinderung – in der öffentlichen Meinung eigentlich zwei Themen, die sich gegenseitig ausschließen, wie Feuer und Wasser! Aber die Realität ist nicht immer ganz so grausam! Wenn ich nach meiner Geschichte gefragt werde, so kann ich mit gutem Recht behaupten, daß der Wunsch nach einem Ausleben meiner Sexualität eine der Hauptantriebsfedern war, mich in meinem Leben nach meinen Möglichkeiten auf “eigene Füße” zu stellen. Nun warum?

Ich bin Spastiker. Das bedeutet, daß durch eine Sauerstoffunterversorgung meines Gehirns bei der Geburt die Feinmotorik weitgehend ausgefallen ist. In der Praxis heißt das, gezielte Bewegungen sind nur bedingt möglich, laufen, gehen oder stehen gar nicht, sitzen nur unter bestimmten Umständen. Dazu kommen unwillkürliche weit ausfahrende Bewegungen, die ich nicht unbedingt unter Kontrolle habe.

Nun auf den Alltag bezogen sitze ich im Rollstuhl, dessen Sitz ich gut ausgepolstert habe, und benutze den Sicherheitsgurt, um die Arme soweit fixieren zu können, damit ich meine Arbeit am Computer erledigen kann.

Da ich nun auch schon über 40 Jahre alt bin, war zu meiner Jugendzeit noch nicht daran zu denken, meine Bildung in einer “integrativen Schule” zu erhalten. Sollte ich eine Schulausbildung erhalten, war das mit einer Sondereinrichtung verbunden. So wanderte ich durch mehrere solcher Sondereinrichtungen um schließlich Abitur und Berufsausbildung zu erhalten.

Diese Sondereinrichtungen beinhalteten immer ein Internat oder Wohnheim mit Pflege, indem sich dann oft mehrere Schüler ein Zimmer teilten. Da blieb nicht viel intimer Freiraum übrig, es sei denn, man versuchte, sich solche Freiräume zu schaffen. Andererseits hat man im Internat auch, und gerade in der Pubertät, genügend Gleichgesinnte, mit denen man Sexualität gemeinsam erkunden kann. Ich habe beides erlebt und ausgelebt.

Zu Beginn meiner Pubertät stand mir erstmal meine Behinderung ziemlich im Weg. Auch ich war so erzogen worden, daß der Genitalbereich versteckt werden mußte. Dieser Bereich des Körpers durfte nur ans Licht, wenn er von Pflegekräften (männlich oder weibliche) gereinigt wurde, oder man sich entleeren mußte.

Bei der Reinigung sprich: Wenn Badetag war, kam es allerdings zu seltsamen Erscheinungen, die aus einem “Massenpflege”-Betrieb herrührten. Da wurde der ein Behinderte, weil es einfacher war, und schneller ging, auf seinem Bett entkleidet, während ein zweiter in der Badewanne war, und der dritte schon wieder bekleidet wurde. Nun, das führte natürlich auch zu Wartezeiten, weil vielleicht das Baden mal etwas länger dauerte. Und so fing ich an, meine Sexualität zu entdecken.

Dann stellte sich irgendwann das Problem der Befriedigung dieser sexuellen Wünsche. Die mangelnde Koordinationsmöglichkeit meiner Arme stellte dabei ein erstes Problem dar. Selbstbefriedigung im Rollstuhl ginge, aber wie die Öffentlichkeit ausschließen. Im Bett unter der Decke, wie bei “Big Brother”, war keine Selbstbefriedigung möglich.

Ja, genau so war das! Wie bei “Big Brother”! Also hieß es seinen Verstand gebrauchen. In den Sondereinrichtungen wurde sehr viel Wert darauf gelegt, daß der Behinderte alles was er konnte selbst machte, auch wenn dies dann einen erheblich höheren Zeitaufwand bedeutete. Diese Zeit wurde von seiner Freizeitbeschäftigung abgezogen.

Ich lernte schnell, daß man erst angeleitet wurde, aber später dann ohne Aufsicht handelte, wenn man die Erwartungen (nahezu) erfüllte. Und so trickste ich dann das Erziehungspersonal aus, indem ich behauptete, ich sei ginant, und wollte meinen Genitalbereich selbst reinigen. Das ging nur im Rollstuhl! Und so bekam ich fortan jeden zweiten Tag die Gelegenheit, den Waschraum eine halbe Stunde allein zu besetzen.

In den Ferien zu Hause wurde das Spiel fortgesetzt, und das ganze führte dazu, daß ich mich langsam von der Pflege etwas löste. Aber das war ja nur eine Lösung, für mich allein! Bald aber wollte ich auch eine Freundin.

Nun, man versteckte sich hier und da, mußte aber immer gefaßt sein, erwischt zu werden, sei es vom Personal, oder von den Mitbewohnern. Also mußte man, wenn auch nur für Stunden, raus. Zum Rausfahren brauchte ich einen Elektrorollstuhl, und bekam einen.

Draußen stellte ich dann fest, daß die Umwelt nicht ganz so behindertengerecht ist, wie ich sie gebraucht hätte. Selbst eine Freundschaft zu einem nicht-behinderten Mädchen, führte ich nicht zum Ziel, weil: Man hatte keine Möglichkeit sich zurückzuziehen. Ich bekam zum ersten Mal mit, daß mein Problem nicht ursächlich behinderungsbedingt war, sondern daß andere das gleiche haben.

Das führte dazu, daß ich bei der nächsten Beziehung, diesmal war meine Freundin leicht gehbehindert, einen anderen Weg suchte. Ich war inzwischen 18, und hatte zum zweiten Mal die Schule gewechselt. In diesem Internat bekam ich zum ersten Mal ein Zimmer für mich. Nur, es war so hellhörig, daß man die Tür genauso auf lassen konnte.

Meine Freundin war in einem anderen Internat. Wir hatten uns bei einer Sommerfreizeit kennengelernt. Sie hatte in ihrem Internat nur ein Doppelzimmer, so daß dieser Ort auch nicht in Frage kam.

Also suchte und fand ich ein preisgünstiges, rollstuhlgerechtes Hotelzimmer in ihrer Nähe. Nun kam mir meine erworbene Selbständigkeit zu gute. Eine Frage blieb, wie komme ich hin. Risikobereit stürzte ich mich in das Abenteuer meiner ersten Bahnfahrt. Und, was soll ich sagen, es klappte!

Das Hotel stellte sich als Kurhotel zur Nachbehandlung von Hüftschädigungen heraus, und verfügte sogar über einen minimalen Pflegedienst, den ich aber aufgrund der relativ guten Einrichtung nicht benötigte.

So hatte mich mein Trieb wieder weiter in die Selbständigkeit geführt.

Auch der spätere Wunsch nach einer eigenen Wohnung, resultierte letztendlich daraus, daß ich in meinem Zimmer bei meinen Eltern, wo ich nach der Ausbildung lebte, nicht genügend Intimsphäre hatte, um meinen Sex leben zu können.

Sicher, heute sind meine Möglichkeiten durch den Verschleiß meiner Gelenke etwas eingeschränkter, und ich benötige wieder mehr Hilfen, auch beim Sex, aber meine Selbständigkeit habe ich noch, und meinen Sex auch. Dafür finde ich immer eine Lösung, denn das eine braucht das andere.

Man könnte jetzt noch viel erzählen, von dem Traum, eine Frau ohne Behinderung zu bekommen, oder von dem Traum, ein Baby auf den Bauch gelegt zu bekommen, aber das würde den Umfang dieser Seite sprengen.

Für mich ist und bleibt meine Sexualität eine der Hauptantriebsfedern in meinem Leben, und ich finde, das ist nicht behindert!

M.B.